Erbrecht um einen Social-Media-Account

Donnerstag, 19. April 2018 textspezi

Zum Familienrecht gehört in bestimmten Situationen auch das Erbrecht. Das ist beispielsweise in einem solchen Fall von besonderem Interesse, wie er im Sommer 2018 durch die Presse ging. Dabei handelte es sich um die mittlerweile höchstrichterlich entschiedene Frage: Wie steht es um das Erbrecht an einem Social Media-Benutzerkonto nebst der Zugangsberechtigung, wenn der jugendliche Account-Inhaber der Erblasser ist. Erblasser ist derjenige, der bei seinem Tod eine gewollte oder auch ungewollte Erbschaft hinterlässt.

In dem strittigen Fall wurde eine Situation entschieden, die man keinem Erzieher wünschen möchte. Das minderjährige Kind ist auf eigene Entscheidung hin aus dem Leben geschieden, es hat Suizid begangen. Der Erzieher verlangte von dem betreffenden Social Media-Betreiber, Zugang zu dem Benutzerkonto zu erhalten, das von dem verstorbenen Kind vor einigen Jahren als Minderjährige mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten eröffnet und bis zum Ableben unterhalten worden ist. Dem widersetzte sich der Account-Betreiber über mehrere Gerichtsinstanzen hinweg. Es kam wie es kommen musste; keine der Rechtsparteien gab nach, und so musste über diesen Präzedenzfall höchstrichterlich entschieden werden. Zuständig dafür war der Bundesgerichtshof BHG. Er entschied unter dem Aktenzeichen IIIZR183/17, dass der Erbe Recht hat und Recht bekommt, und nicht der Social Media-Betreiber.

Im Normalfall erbt der Jüngere, weil Erblasser der Ältere ist. In diesem Fall war es erzwungenermaßen umgekehrt. Erblasser war das Kind, und gesetzliche Erben zweiter Ordnung nach § 1925 BGB, des Bürgerlichen Gesetzbuches die Eltern sowie deren Abkömmlinge. Damit war die Erbrechtssituation klar. Jetzt ging es darum, dass in Bezug auf das Benutzerkonto der Inhalt einerseits und die Zugangsberechtigung andererseits „innerhalb der Familie in der Eigenschaft als gesetzliche Erben zweiter Ordnung“ ein Erbe im Sinne des Erbrechts sind. Der Erzieher als Erbe sagte Ja, der Account-Betreiber Nein. Rein emotional betrachtet war es geradezu eine Selbstverständlichkeit, dass der Account, zu dem der Erzieher sein OK gegeben hat, zur Erbmasse gehört.

Wie bei Gerichten üblich und auch zu erwarten, hielt sich der BGH an Fakten. Er ließ Emotionen, Empfindungen sowie familiäre Bande komplett außer Betracht und stellte fest, dass

  • der Nutzungsertrag so wie andere Verträge auch nach § 1922 BGB „als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen als Erben übergeht“
  • wegen des Fehlens jeglicher Aussagen in dem Vertrag dazu die Vererbbarkeit des Nutzungsvertrages nicht ausgeschlossen worden ist
  • eine Nutzungsvertragsbestimmung über den „Gedenkzustand des Accounts“ nicht wirksam in dem Nutzungsvertrag enthalten ist
  • eine mögliche diesbezügliche Vertragsklausel dem § 307 Absatz 1 BGB widersprechen würde. Danach „sind Bestimmungen in AGBs unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist“
  • sich die Pflicht des Account-Betreibers ausschließlich auf den vertraglich bereitgestellten Account bezieht, und zwar ungeachtet der Personen, die ihn letztendlich nutzen
  • der Account-Betreiber davon ausgehen, jedoch weder rechtlich noch tatsächlich beeinflussen kann, dass nur der Account-Inhaber selbst den Zugriff hat oder haben möchte
  • eine Unterscheidung in Persönlichkeits- sowie in Vermögenswert aus Gleichheitsgrundsätzen von analogen zu digitalen Inhalten und Dokumenten deswegen ausscheidet, weil auch analoge, sprich hand- oder maschinenschriftliche Tagebücher, persönliche Briefe und ähnliches zur Erbmasse gehören
  • kein Verstoß gegen das Datenschutzrecht oder gegen das Fernmeldegeheimnis vorliegt

Die klagende Mutter bekam in vollem Umfange Recht und kann nun endlich, nach einem mehrjährigen Marsch durch die Gerichtsinstanzen, durch Einsicht in den Social Media Account anhand neuer Erkenntnisse schlussfolgern, aus welchen Gründen und „wie freiwillig“ ihre Tochter in so jungen Jahren aus dem Leben geschieden ist.

Erschreckend ist die Erkenntnis, welche Steine dem Erzieher in den Weg gelegt werden, wenn es um die wirklich privatesten Familienangelegenheiten geht.

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